Studland Bay
Als ich um viertel vor sechs starte herrscht Windstille. Das macht das Ablegen aus meiner Ecke einfach.
Ich hatte erwägt, nördlich der Isle of Wight den Solent entlang nach Westen zu laufen und hinter Hurst Spit durch den North Channel dicht unter der Küste in Richtung Poole zu segeln. Doch von Portsmouth aus sind es noch einige Meilen gegen den Strom bis nach Hurst Spit und ohne unterstützenden Segelwind wird das eine nervige, langsame Motorfahrt. Stattdessen geht es zunächst an der Ostküste der Isle of Wight entlang nach Süden. So kann ich direkt segel setzen. Im Süden muss zwar wegen Flachs vor der Insel großer Abstand gehalten werden, das passt aber mit der erwarteten Windrichtung und sollte mir erlauben mit einer einzigen Wende Studland Bay anzulaufen.
Vor Bembridge Ledge, dem östlichsten Punkt der Isle of Wight, macht sich der noch setzende Gegenstrom deutlich bemerkbar. Nicht nur durch reduzierte Geschwindigkeit, sondern auch durch eine teils unruhige, teils plattgedrückte Wasseroberfläche. An diesen Stellen wird der Bug immer mal wieder ein gutes Stück zur Seite gedrückt.
Kurz hinter Bembridge verlasse ich langsam den Schutz der Insel und binde vorsorglich das zweite Reff ins Großsegel. Der Wind nimmt merklich zu, der Strom lässt nach. Es läuft richtig gut. Nach der Wende am Mittag sieht es tatsächlich so aus, als ob ich Studland Bay direkt anliegen kann. Die Needles sollte ich mit genügend Abstand passieren können und ab dort geht es ohne weitere Hindernisse über die Poole Bay nach Westen.
So recht sind mir meine Seebeine diese Saison wohl noch nicht gewachsen und nicht lang nach der Wende beginne ich seekrank zu werden. Anfangs nehme ich das gar nicht als solches wahr. Es startet mit einer vibrierenden Taubheit in den Fingerspitzen der linken Hand, ähnlich dem Kribbeln einer eingeschlafenen Hand. Das Gefühl breitet sich über den Arm bis zur Schulter aus und läuft leicht versetzt auch durch die rechte Seite. Irgendwann fangen auch meine Beine an schwer und taub zu werden und schließlich sitze ich auf der hohen Kante, mache mit den Beinen Radfahrübungen und drücke mit den Handflächen abwechselnd die Finger zu Fäusten um etwas Kontrolle über meine Gliedmaßen zu behalten.
Als ich dann endlich anfange mich zu übergeben kommt das regelrecht als Erleichterung, dass es nichts schlimmeres ist. Etwa zwei Stunden lang hänge ich regelmäßig über der Reling und füttere die Fische. Zwischendurch sehe ich dazu noch Wasser im Salon umherschwappen. Da die Bilgepumpe nur Luft zieht ist das aber hoffentlich nur Süßwasser aus dem doch undichten Wassertank.
Nach den zwei Stunden geht es mir wieder besser. Ich bin lediglich schwach und etwas dösig. Aber Studland Bay ist auch nicht mehr weit. Kurz nach drei berge ich die Genua und motore das letzte Stück gegen den Wind in die Bucht. Erst jetzt, ohne Schräglage läuft das Wasser in die Bilge. Die elektrische Bilgepumpe legt sofort los. Das Großsegel nehme ich erst im Schutz der Bucht weg, dann angel ich mir eine Boje und fange an das schlimmste Chaos unter Deck zu beseitigen.
Den Teppich nehme ich so gut es geht hoch. Um den komplett rauszunehmen muss der Salontisch raus, und dafür habe ich heute keine Kraft mehr. Die gefluteten Schapps räume ich aus und verteile die durchnässten Sachen im Cockpit.
Zusätzlich zu dem vielen Süßwasser ist der Schrank der Nasszelle mit Salzwasser gespült worden. Ich hatte vorm Auslaufen dort noch meine Hände gewaschen und vergessen, das Seeventil des Waschbeckens wieder zu verschließen. Bei der vielen Schräglage sind über das Waschbecken etliche Liter Salzwasser in die Schränke gelaufen und haben Lappen, Handtücher, Klopapier und Haushaltsrollen getränkt.
Nach dem ersten Aufräumen und Wischen koche ich mir eine kleine Portion Nudeln, die ich dann trocken aus einer Schüssel esse und falle gleich danach hundemüde in meine Koje.