Stürmische Fahrt nach Süden
Abfahrt (Montag)
Mit der aufgehenden Sonne lösen wir in aller Stille um sieben Uhr die Leinen und verlassen Lawrence Cove Marina. Aber wir sind nicht alleine. Insgesamt vier Boote fahren auf glattem Wasser aus dem kleinen Naturhafen heraus und biegen nach Westen in den Bere Island Sound ab.
Kurz bevor wir Piper's Sound zum zweiten Mal passieren und den Schutz von Bere Island verlassen ziehen wir das Großsegel, draußen auf dem offenen Wasser kommt die Genua dazu und die reparierte Windpilot übernimmt das Steuer.
Mittags haben wir die ersten zweiundzwanzig Meilen hinter uns und laufen mit fünfeinhalb Knoten auf einem Südsüdwestkurs, der uns hoffentlich um das schlimmste des nächsten heranziehenden Tiefs herumführt.
Die erste Nachtwache von zehn bis zwei übernimmt Uwe. Der Wind lässt im Laufe der Nacht immer weiter nach, bis wir am nächsten Morgen zum Ende der letzten Wache um zehn Uhr den Motor starten. Trotzdem haben wir vierundzwanzig Stunden nach unserer Abfahrt einhundertdreißig Meilen zurückgelegt.
Die Flaute hat auch Vorteile: Es ist zumindest tagsüber in der Sonne relativ warm an Bord und ich kann uns ein richtiges Abendessen kochen.
Spät am Dienstagabend kreuzt ein vermutlich französisches Marineschiff im Schneckentempo unseren Kurs. Eine lange Trosse verschwindet weit hinterm Heck im Atlantik, wir verlangsamen etwas und schlagen einen Haken.
Irgendwann in der Nacht kommt der Wind wieder zurück und zum Wachwechsel um zwei Uhr früh können wir nach sechzehn Stunden Motorfahrt endlich wieder Segel setzen.
Ein Mondfisch treibt am Vormittag an uns vorbei und drei Portugiesische Galeeren sehen wir über den Tag verteilt an uns vorbeisegeln. Dazu jede Menge Delfine, die immer wieder mal kürzer, mal länger um Lua herum spielen.
Erstes Unwetter (Mittwoch)
Der Wind nimmt jetzt immer weiter zu. Das Groß fahren wir schon seit morgens mit dem zweiten Reff und auch die Genua rollen wir mittags zum ersten Reffstreifen ein.
Um zwei Uhr Nachmittags ist dann plötzlich Chaos an Deck. Lua läuft aus dem Kurs,
die Segel schlagen. Die Windpilot steuert nicht mehr. Es ist wieder die Schubstange.
Die Schweißstelle hält zwar, aber diesmal hat sich die untere Befestigung am
Ruderblatt gelöst. Der Bolzen, der die Schubstange mit dem Ruder verbindet, hat sich
trotz Gewinde an der Anlage und einer zusätzlichen selbstsichernden Mutter gelöst. So
besteht wieder keine Verbindung zwischen Windblatt und Ruder. Die Mutter ist futsch,
der Bolzen hängt noch an der Schubstange und kann gerettet werden.
Schnell ist der Arm des elektrischen Autopiloten aus der Backskiste gefischt und
eingehängt. Gibt aber auch kein Lebenszeichen von sich. Am Ende ist es der gute
jahrzehntealte Autohelm, der uns unbeirrt auf Kurs hält.
Jetzt bergen wir das Großsegel komplett. Am Abend reffen wir die Genua bis zur zweiten Markierung und beim ersten Wachwechsel um zweiundzwanzig Uhr verkleinern wir das Segel ein weiteres gutes Stück.
Es weht die ganze Nacht hindurch kräftig weiter. Dazu kommen immer wieder Schauer und Wellen, die uns im Cockpit durchnässen. Meine teuren neuen Seestiefel von Gill erweisen sich als undichte Enttäuschung, halten aber dank ihres Neopren-Innenlebens meine vom Wasser verschrumpelten Füße wenigstens warm.
Bis Donnerstagmittag hält das ungemütliche Wetter an. Dann lässt der Wind plötzlich nach, es reißt auf und wird warm. Die nassen Klamotten trocknen in der Sonne, zeitweise segeln wir mit schwachem Wind oder motoren wenn der Wind zu wenig Druck in die von den Wellen hin und her schlagenden Segel bringt.
Heute Abend können wir uns auch das erste Mal seit zwei Tagen wieder eine warme Mahlzeit gönnen. An Kochen war vorher nicht zu denken. Auch jetzt gibt es nur eine Tüte Fertigreis aus der Pfanne und selbst davon geht beim Auffüllen einiges unterm Herd verloren.
Zweites Unwetter und Bergfest (Freitag)
Freitagmorgen verlassen wir das Zentrum des Tiefs wieder und erreichen den südlichen
Rand. Das Barometer fällt innerhalb kurzer Zeit von knapp tausendzwanzig Hectopascal
auf neunhundertachtundneunzig. Der Wind legt immer weiter zu. Vom Vorsegel steht nur
noch etwa eine Handtuchgröße. Die Wellen türmen sich zu gewaltigen Bergen auf. Einige
der Wellenkämme fangen an sich auf den obersten dreißig Zentimetern zu brechen und
türkis-weiße Gischt aufzuschmeißen. Da heute immerhin die Sonne scheint wirft sich der
unglaublich blaue Atlantik in ein beeindruckendes und berauschendes Farbenspiel.
Ab neun Uhr zeigt der Windgeber nichts mehr unter dreißig Knoten an. Immer wieder
nehmen wir Wasser über den Bug oder direkt ins Cockpit. Der Vorschiffslüfter tropft,
ebenso der Decksdurchlass für die Mastkabel. Wie Uwe es unter Deck durchgeschüttelt
aushält weiß ich nicht, ich bleibe ab meiner Wache um sechs Uhr morgens an Deck.
Als wir um zwölf Uhr die Mittagsposition notieren ist das Baro zum ersten Mal wieder am Steigen. Auch das rasant mit fünf Hectopascal in der letzten Stunde. Es bleibt also stürmisch, aber das Ende wird langsam greifbarer.
Der Sturm hält gut fünf Stunden lang an. Während die Böen erst noch an der vierzig kratzen gehen sie in der zweiten Hälfte regelmäßig auch darüber hinaus. Ab vierzehn Uhr lässt es endlich merklich nach. Die Sonne scheint weiterhin, es wird trockener im Cockpit, nur ab und an steigt nochmal eine unpassende Welle ein. Auch das Baro steigt nicht mehr ganz so schnell. Dankbar lege ich mich für ein paar Stunden schlafen, während Uwe wieder an Deck an die frische Luft geht.
Über Nacht schwacht der Wind dann immer weiter ab. Wir setzen wieder mehr Tuch bis der Wind am Sonnabendmorgen komplett einschläft und nur noch die gewaltige Dünung an die vorangegangenen Stunden erinnert.
Das Unwetter ist überstanden und wir haben die
Hälfte der Strecke hinter uns. Zumindest gleicht die zurückgelegte Strecke dem, was
wir auf direktem Weg noch vor uns haben.
Zur Feier des Tages lassen wir es uns richtig gut gehen. Zum Frühstück gibt es ein
großes Rührei, mittags für jeden einen Becher Minuto und zu Abend Gulasch mit
Kartoffeln.
Ab Mittag können wir auch wieder segeln, noch immer mit südlichen Winden, so dass wir nicht direkt in Richtung Ziel laufen können, aber immerhin haben wir wieder etwas Ruhe an Bord.
Es wird wärmer (Sonntag)
Es folgt der bisher schönste Segeltag. Der Wind bleibt schwach und irgendwie südlich, aber es reicht zum Segeln, die Sonne scheint und tagsüber ist es warm. Selbst nachts eingepackt in ein halbes Dutzend Lagen warmer Klamotten wird es aushaltbarer.
Sonntagmorgen sehen wir das erste Schiff seit wir Irland verlassen haben. Der Frachter Venture zieht in einigen Meilen Abstand an uns vorbei.
Bis Mittag segeln wir so gut es geht, dann herrscht wieder absolute Flaute.
Ich baue den kaputten Pinnenpiloten auseinander und finde den Motor stark korrodiert vor. Rostlöser und Reinigung erwecken den nicht wieder zum Leben. Wir verlassen uns weiter auf den alten Autohelm, der uns bereits so ausdauernd durch die beiden Stürme gebracht hat.
Bevor wie die Maschine starten und durch die Flaute motoren "dusche" ich am Heck und gehe eine Runde schwimmen. Ein unbeschreibliches Gefühl, mit viertausend Metern Wasser unter mir und weit und breit nur Wasser, Horizont und Lua.
Am Nachmittag füllen wir noch zwei Kanister Diesel in den Tank um. Bei der Schaukelei ist es etwas schwierig mit dem Zollstock den Füllstand zu messen, aber wir dürften noch etwa achtunddreißig Liter im Tank haben. Mit vierzig Litern obendrauf ist der Tank jetzt erstmal wieder fast voll.
Zu Abend traue ich mich bei der relative glatten See an Spaghetti. Obwohl die Kardanik des Herds sehr gut funktioniert, werde ich den Spaghettitopf aber vermutlich nicht nochmal unterwegs benutzen. Durch die Höhe des Topfes wird der Schwerpunkt so weit nach oben verlagert, dass mir das dann doch zu kippelig wird.
Es bleibt leichtwindig, sonnig, warm. Nach vierundzwanzig Stunden unter Maschine holen wir Montagmittag das erste mal den Blister heraus. Der zieht uns neun Stunden lang nach Süden...
...während ich am Nachmittag Fladenbrot und Zitronenkuchen backe.
Als wir den Blister vorm Sonnenuntergang bergen ist das Fall bis auf die Seele durchgescheuert. Gerade noch rechtzeitig.
Die Freiwachen verbringen wir jetzt nachts auf dem Schlafsack, bestenfalls noch mit einer Wolldecke zugedeckt. Auch an Deck ist es in den Nächten nicht mehr so kalt und meist reicht uns eine Lage warmer Sachen unterm Ölzeug.
Entspanntes Segeln (Dienstag)
Die restliche Zeit verläuft enstpannt. Dienstagabend läuft nochmal für ein paar Stunden der Motor, ansonsten können wir segeln. Den Blister setzen wir leider kein zweites Mal. Ohne die Scheuerstelle am Fall zu beseitigen wollen wir das nicht riskieren und das zweite Spinnakerfall ist leider zwischen Vorstag und Genuafall vertörnt. Da ich wenig Lust habe ohne Zwang in der Dünung den Mast zu erklimmen, muss das bis Porto Santo warten.
Ankunft mit Motorproblemen (Freitag)
Freitagmorgen lässt uns der Wind das erste Mal wieder im Stich. Wir wollen die
letzten Meilen motoren, doch der Motor springt nicht an. Die Spannung der
Starterbatterie bricht bei jedem Startversuch ein bevor der Motor in Bewegung kommt.
Die Batterie hatte ich beim Refit nicht ausgetauscht, sie war aber noch relativ neu
und schien in gutem Zustand zu sein.
Nun ist sie wohl hin. Nur gut, dass mein alter Bukh-Diesel auch per Hand gestartet
werden kann. Ich krame die Kurbel aus dem Schapp und baue den Niedergang ab um an
den Motor zu kommen. Im Prinzip ist es ganz einfach: Gashebel neutral,
Dekompressionshebel umlegen, kurbeln was das Zeug hält und dann den Dekompressionshebel
zurück. Nur tut sich nichts beim letzten Schritt. Sobald ich den Dekompressionshebel
zurücklege bleibt die Kurbel einfach stehen und der Motor bleibt aus. Erst als ich
die Keilriemen von der Lichtmaschine abnehme bekomme ich genug Geschwindigkeit
herausgekurbelt, dass der Motor startet.
Kurze Zeit später taucht erstmals Porto Santo aus dem Dunst auf. Zunächst lassen sich die Bergspitzen nur schemenhaft ausmachen, doch nach und nach nimmt die Insel Form an.
Allerhöchste Zeit, endlich die irische Gastlandflagge einzuholen und durch die portugiesische zu ersetzen.
Auf der letzten Meile kommt uns noch ein Fischer entgegen. Wir runden die vorgelagerte Ilhéu de Cima, dann erblicken wir den kilometerlangen Strand und die Hafenmole Porto Santos.
Das Anlegen wird noch einmal aufregend. Der Motor hängt wieder im Vorwärtsgang,
kann nicht ausgekuppelt oder in den Rückwärtsgang geschaltet werden. Die paar
Stegplätze sind belegt und die meisten Mooringbojen im Hafenbecken auch. Eine
einzelne Boje ist noch frei. Die wollen wir uns nehmen. Ohne Rückwärtsgang zum
Aufstoppen, oder wenigstens Leerlauf, bleibt uns nur, den Motor auszuschalten sobald
die Boje erreicht ist. Erwischen wir sie nicht, können wir den Motor aber auch nicht
schnell wieder starten.
Mit der Genua klar stehe ich, Bootshaken in der Hand und Leinen bereit, auf dem
Vorschiff. Uwe fährt ganz langsam gegen den Wind die Boje an. Ich angel mir die
Mooring und gebe Zeichen sobald ich eine Verbindung an Deck hergestellt habe. Der Motor
geht aus, wir stoppen mit der Mooring auf. Alles geht gut.
Es ist voll auf Porto Santo. Fünfzehn Boote liegen draußen vorm Strand vor Anker, die Stege sind voll und auch im Hafenbecken liegen bestimmt dreißig Boote an Bojen und hinter Ankern.
Nach einem Anruf in Hamburg räumen wir erst einmal unter Deck auf. Das Wasser, das
durch den Vorschifflüfter eingedrungen ist hat meine Bettdecke, -bezüge, -laken
durchnässt. Das muss ich hier alles demnächst gründlich waschen.
Hier reicht für die Nacht aber eine einfache Wolldecke, wenn überhaupt. Es ist heiß.
Wir sind im Süden angekommen!
Gesamtstrecke: 1300sm
Reisezeit: 11 Tage, 9 Stunden, 47 Minuten
Zeit Segel: 8 Tage, 17 Stunden, 41 Minuten
Zeit Motor: 2 Tage, 16 Stunden, 6 Minuten
Durchschnittliches Etmal: 114sm
Bestes Etmal: 132sm
Schlechtestes Etmal: 100sm